"Mehr Klimaschutz geht nicht auf Knopfdruck"

Raphael Tigges (CDU) stellte sich den Fragen im NW-Sommerinterview. Als Kulisse diente das Nordbad, wo der Landtagsabgeordnete regelmäßig seine Bahnen zieht. Früher trainierte er hier vor Wettkämpfen für den GSV. | © Jens DünhölterRaphael Tigges (CDU) stellte sich den Fragen im NW-Sommerinterview. Als Kulisse diente das Nordbad, wo der Landtagsabgeordnete regelmäßig seine Bahnen zieht. Früher trainierte er hier vor Wettkämpfen für den GSV. | © Jens Dünhölter

NW-Sommer-Interview: Raphael Tigges über die neue schwarz-grüne Koalition in NRW, seinen Draht zum Ministerpräsidenten und seine Haltung als Beauftragter der CDU-Landtagsfraktion für die katholische Kirche zum Umgang mit dem Missbrauchsskandal.

Von Rainer Holzkamp

Herr Tigges, als Treffpunkt fürs Interview haben Sie das Nordbad ausgewählt. Was verbinden Sie mit diesem Ort?

Raphael Tigges: Als passionierter Schwimmer versuche ich regelmäßig ins Wasser zu kommen, im Sommer gern hier im Freibad. Während meiner Jugend war ich lange im Gütersloher Schwimmverein aktiv und habe an Wettkämpfen teilgenommen. Trainiert wurde auch im Nordbad.

Sind Sie denn auch schon mal vom „Zehner“ gesprungen?

Springen ist nicht so mein Metier. Das höchste waren 7,5 Meter - mit wackeligen Knien.

Gibt es Vorstellungen, das Nordbad attraktiver zu machen?

Im Sportausschuss ist darüber im Zusammenhang mit der Sportentwicklungsplanung gesprochen worden. Wir haben festgestellt, dass wir zu wenig Wasserfläche haben, insbesondere für Schwimmkurse und Seniorensport. Möglicherweise lassen sich die Defizite an dieser Stelle im Rahmen der Modernisierung beheben. An Platz mangelt es hier jedenfalls nicht.

Vor der Landtagswahl hatten Sie sich klipp und klar für eine Fortsetzung der Regierungskoalition mit der FDP ausgesprochen. Nun regiert Schwarz-Grün. Enttäuscht?

Erst mal bin froh, dass die CDU als stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen ist, sogar noch hinzugewonnen hat und ich meinen Wahlkreis erneut direkt geholt habe. Über das Ergebnis von 40,1 Prozent bin ich richtig happy. In der Landtagsfraktion hätten wir uns vor der Wahl vorstellen können, die Zusammenarbeit mit der FDP fortzusetzen. Aber auch mit den Grünen gibt es ebenso inhaltliche Überschneidungen.

Sie selbst waren an den Koalitionsverhandlungen beteiligt. Wie lief es in Ihrer Arbeitsgruppe Wissenschaft, Digitalisierung und Innovation?

Es herrschte von vornherein eine lockere Atmosphäre. Natürlich gab es Punkte, an denen beide Seiten auseinander lagen, beispielsweise beim Thema Hochschulbau und -sanierung, wo wir große Aufgaben vor der Brust haben. Da hatten die Grünen doch etwas sportlichere Vorstellungen als die CDU, die die finanziellen Umsetzungsmöglichkeiten realistischer betrachtet hat. Auch beim Thema Mitbestimmung der Studierenden mussten wir uns auf Formulierungen einigen, die nicht das ganze System auf den Kopf stellen und somit die Hochschulen handlungsfähig halten.

Ging es auch um den Fachhochschulstandort Gütersloh?

Wir hatten in den Verhandlungen quasi eine große Flughöhe, so dass eher die grundsätzlichen Linien im Vordergrund standen. Allerdings gab es auch konkrete Punkte, die OWL betreffen. So wurde die Ausstattung der Lehrkrankenhäuser der neuen medizinischen Fakultät in Bielefeld explizit in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Es ist auch gelungen, im Vertrag den Begriff „Gesundheitsregion OWL“ zu prägen. So können hier unter anderem auch Studiengänge für Pharmazie und für die Ausbildung von Physiotherapeuten entstehen und der Bereich CareTech, ausgebaut werden, also die technische Unterstützung in der Pflege.

NRW soll laut Regierungsvertrag die erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden. Über welchen Zeitraum reden wir?

Wir wollen dieses Ziel so schnell wie möglich erreichen. Eine konkrete Jahreszahl zu nennen, ist schwierig.

Momentan scheint alles unendlich lange zu dauern, wenn es um mehr Klima- und Umweltschutz, Energie- und Verkehrswende geht. Wie kann da mehr Tempo reinkommen?

Beim Thema Energie stecken wir gerade in besonderen Herausforderungen. An erster Stelle muss die Versorgungssicherheit für NRW stehen, da sind sich alle einig. Notfalls müssen wir daher die Kohleverstromung länger fortführen als eigentlich geplant, obwohl alle am Kohleausstieg festhalten. Gleichzeitig geht es darum, die regenerativen Energien auszubauen. Es stimmt: Derzeit dauern bei der Windkraft Genehmigungsverfahren unter Umständen sechs oder sieben Jahre. Das steht uns beim Erreichen der Klimaziele im Weg.

Wie sollen solche Verfahren beschleunigt werden?

Ein Beispiel: Beim Thema Windkraft verfolgen wir künftig in Sachen Artenschutz einen anderen Ansatz. Bisher wurde dabei immer ein bestimmtes Tier wie der Rotmilan an einem bestimmten Standort in den Fokus genommen. Das hat zu ewigen Verzögerungen geführt. Künftig geht es darum, nicht einen einzelnen Vogel zu schützen, sondern eine vorhandene Gesamtpopulation im Land zu erhalten. Außerdem werden neue finanzielle Anreize gesetzt, damit sich Kommunen und Bürger an Windparks beteiligen. Dann sind auch kritische Nachbarn eher daran interessiert, dass ein Windrad gebaut wird.

Wo sehen Sie Ihre persönlichen Ambitionen und Arbeitsschwerpunkte für Ihre zweite Wahlperiode in Düsseldorf?

Meine Wünsche habe ich gegenüber der Fraktionsspitze geäußert. Ich hoffe, weiter im Haushalts- und Finanzausschuss sowie im Wissenschaftsausschuss und dort als wieder als Sprecher tätig sein zu können. Nach ersten Rückmeldungen sieht das ganz gut aus. Ansonsten gilt es abzuwarten, ob sich weitere Türen öffnen.

Ralph Brinkhaus wurde als neuer NRW-Finanzminister gehandelt. Warum ist er es nicht geworden?

Ich habe an keiner Stelle vernommen, dass er das Amt auch tatsächlich übernehmen wollte. Mitunter verselbstständigen sich solche Meldungen. Im übrigen bin ich froh, dass uns Ralph Brinkhaus als Bundestagsabgeordneter für den Kreis Gütersloh erhalten bleibt.

Wie ist Ihr Verhältnis zum wiedergewählten Ministerpräsidenten Wüst?

Das ist nach wie vor sehr gut und unkompliziert. Wir haben nach wir vor eine Bürogemeinschaft unserer Landtagsbüros mit einem gemeinsamen Mitarbeiter. Insofern ist der Draht weiterhin kurz.

Sie sind der Beauftragte der CDU-Landtagsfraktion für die katholische Kirche. Gibt es auch Beauftragte für die evangelische Kirche oder andere Glaubensrichtungen?

Wir haben viele Beauftragte, unter anderem auch für die evangelische Kirche, die Feuerwehr, fürs Ehrenamt oder für den Tourismus.

Beschäftigen Sie sich in dieser Funktion auch mit dem Umgang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche?

Natürlich, das Thema spielt ja auch in der Kinderschutzkommission im Landtag eine Rolle. Da geht es um die zentrale Frage, wie eine nachhaltige Aufklärung der Fälle erreicht und künftig der Schutz unserer Kinder besser gewährleistet werden kann.

Mit wem konkret bei der Kirche verhandeln Sie?

Der Beauftragte ist der erste Ansprechpartner für den Leiter des Büros der katholischen Kirche in Düsseldorf; das ist so etwas wie eine ständige Vertretung aller fünf Bistümer in NRW. Mit ihm tausche ich mich regelmäßig aus.

Tut die Katholischen Kirche Ihrer Ansicht nach genug, um das Missbrauchsthema zu bearbeiten?

Da geht mehr. Ich wünsche mir einen aktiveren Umgang mit dem Thema. Die Kirchenverantwortlichen stehen sich häufig selbst im Weg und versuchen immer wieder zu erklären, warum etwas wie nicht geht. Noch immer wird das Thema an zu vielen Stellen unter den Teppich gekehrt und nicht ernsthaft genug verfolgt. Das kritisiere ich.

Blicken wir nach Gütersloh, wo Sie nach wie vor dem Rat angehören und der Kreis-CDU vorstehen. Wie wichtig sind diese Funktionen für Ihre Arbeit in Düsseldorf?

Die Vernetzung von kommunaler und Landesebene ist extrem wichtig, denn was in Düsseldorf entschieden wird, kommt in den Kommunen an. So spürt man als Ratsmitglied die konkreten Auswirkungen der Beschlüsse des Landtags.

Halten Sie es für denkbar, dass die Regierungskombination auch auf die lokale Ebene abfärbt? Immerhin hat es in Gütersloh schon eine schwarz-grüne Plattform gegeben.

Wir sind eigentlich Vorreiter gewesen mit Schwarz-Grün. Interessanterweise war Hendrik Wüst die Sache mit der Plattform in Gütersloh bekannt. Auch wenn es aktuell keine feste Zusammenarbeit gibt, versuchen CDU und Grüne des öfteren auch vor Ort, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Im übrigen bin ich überzeugt, dass Schwarz-Grün generell eine Zukunft hat. Aus der Kombination der jeweiligen Kernkompetenzen wie Wirtschaft und Sicherheit einerseits sowie Klima- und Energiepolitik andererseits kann dauerhaft etwas Gutes entstehen. Deswegen haben wir in NRW die Zusammenarbeit auch nicht nur Koalitionsvertrag genannt, sondern Zukunftsvertrag.

Aktuelles Diskussionsthema in Gütersloh ist die von Einzel- und Autohändlern sowie Gastronomie geformte Allianz fürs Auto in der Innenstadt. Sind deren Sorgen in Sachen Erreichbarkeit der City und Bevorzugung des Radverkehrs berechtigt?

Es muss eine ausgewogene Lösung für alle Seiten geben. Es wird auch künftig Menschen geben, die lieber mit dem Auto in die Stadt fahren und es auch brauchen, weil sie weniger mobil sind oder aus dem Außenbereich kommen. Dass der Schwerpunkt künftig auf dem Ausbau des Radverkehrs liegt, ist aber auch klar. Die neue Koalition hat zugleich vereinbart, den ÖPNV auch im ländlichen Raum zum Beispiel mit zusätzlichen Angeboten zu stärken und Sharingangebote auszubauen.

Wie schnell lassen sich die Pläne umsetzen?

Das geht nicht auf Knopfdruck. Es hängt auch vom Finanzbudget ab. Außerdem ist es Aufgabe der Kommunen und lokalen Akteure wie den Stadtwerken, die Ziele umzusetzen. Manchmal scheitern solche Dinge leider allein am fehlenden Personal im Rathaus.

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Müsste die CDU nicht bald einen Kandidaten in Stellung bringen, um 2025 das Bürgermeisteramt in Gütersloh zurückzuerobern?

Klar ist das unser Ziel. Das letzte Wahlergebnis konnte uns nicht zufriedenstellen. Die CDU hat selbstverständlich den Anspruch, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Darüber werden wir uns zu gegebener Zeit unterhalten.

Innerhalb der Ratsfraktion drängt sich derzeit niemand für den Posten auf. Läuft es also auf den Ersten Beigeordneten Henning Matthes hinaus?

Wir haben viele gute Leute in der Fraktion, auch viele junge engagierte Leute und auch an anderen Stellen. Nach der Sommerpause werden wir das Thema andiskutieren.

Apropos Sommerpause: Wohin geht es in Urlaub?

Alle vier Kinder sind mit der Kolpingjugend im Zeltlager in der Eifel, entweder als Teilnehmer oder als Betreuer. Bis auf eine Radtour auf dem Weser-Radweg und einen Besuch in Berlin ist sonst noch nichts Festes geplant. Es stehen zu Hause noch Renovierungsarbeiten an.

 

Zum Interview im NW-Onlineangebot: